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Zen-Psychotherapie: Praktisch angewandter Buddhismus

Zen-Psychotherapie: Praktisch angewandter Buddhismus

Martin von Elm ist Zen-Psychotherapeut. Fasziniert von dieser Methode, die vom japanischen Zen-Buddhismus beeinflusst wurde, haben wir ihn um ein Interview gebeten. Sehr ausführlich und verständlich hat er erklärt, wieso diese Therapieform auf einzigartigem Weg das Ich mit dem Leben neu vereint.

gelbe Blume, dahinter blauer Himmel mit weißer Wolke
Mit dem eigenen Ich im Einklang sein: Eine schwierige Aufgabe, bei der die ZPT Unterstützung bietet.

Herr von Elm, wenn man die Leser Ihres Blogs zur Zen-Psychotherapie ausklammert, ist diese komplexe Therapiemöglichkeit für viele bestimmt noch Neuland.

Was genau kann man sich darunter vorstellen? Was ist für Sie das Besondere an Zen-Psychotherapie?

Komplex oder kompliziert ist Zen-Psychotherapie auf jeden Fall in der Praxis schon mal nicht. ZPT ist Gesprächstherapie, Körperarbeit und Meditation in einem Paket. Im Gegensatz zu „normaler“ Gesprächstherapie oder Psychoanalyse kommt die Einbeziehung des Körpers dazu. Ebenso wie das Erlernen einer Methode (Meditation), mit der man sich auch ohne den Therapeuten bzw. zwischen den Sitzungen gezielt selbst mit seinen Themen auseinandersetzen kann.
Das wirklich Besondere an ZPT ist aber eine innere Haltung des Therapeuten, der den Klienten als im Grunde erleuchtetes Wesen betrachtet. Ich gehe davon aus, dass der Klient das, was er erlebt, im Grunde auf subtile Art selbst inszeniert, um eine für seine Entwicklung nötige Lernerfahrung zu machen. Vor allem aber geht man in der ZPT ganz im Einklang mit der buddhistischen Lehre davon aus, dass nicht das normale, gedanklich konstruierte Ich und Selbstbild das eigentliche Selbst darstellt, sondern dass wir aus einer tieferen, nonverbalen Schicht heraus leben und das Ich nur eine Erfahrung von uns ist, aber nicht unser wirkliches Sein. ZPT basiert also grundlegend nicht auf dem westlichen Grundaxiom der Psychologie, der Lehre vom Ego/Ich/Selbst, sondern nimmt an, dass wir im Inneren leer sind von einer fundamentalen Identität. Wir sind das, was wahrnimmt, nicht das, was wir wahrnehmen.

Wie sind Sie zu dieser Methode gekommen?

Indem ich in zwanzig Jahren Therapiearbeit intensiv danach geforscht habe, was den Menschen wirklich hilft und was nicht nur ein oberflächliches Placebo ist und natürlich durch meine eigene Zen-Praxis. Es fing eigentlich damit an, dass ich merkte, dass ich bessere Therapiesitzungen erlebte, wenn ich selbst vor einer Sitzung ein paar Minuten meditiert hatte. Irgendwann fing ich an während der Gesprächs- oder Körpertherapie mit den Klienten immer mehr meditative Momente einzubauen und dann passierten spannende Dinge.
Dann habe ich gezielt angefangen mich umzuschauen, welche Kollegen noch ähnliche Erfahrungen machten und musste feststellen, dass ich ganz von selbst Teil einer Art Bewegung geworden war. Geben Sie mal bei Amazon als Stichwörter Buddhismus und Psychotherapie ein, oder Zen und Psychotherapie und dann das Ganze noch einmal auf Englisch, bei Amazon.com und dann werden Sie sehen, dass es da mittlerweile massenhaft Bücher in diese Richtung gibt.
Last but not least muss ich natürlich meinen geliebten Zen-Lehrer Richard Baker Roshi erwähnen, der schon immer sehr interessiert an der Überschneidung von Psychotherapie und Zen war und bei dem ich schon vor fünfundzwanzig Jahren Seminare zu dem Thema mitmachen durfte. Er hat mir die Psychologie des Buddhismus erschlossen.

Martin von Elm
Martin von Elm ist begeisterter Zen-Psychotherapeut. In seinem Blog teilt er seine Erfahrungen mit Interessierten.

Die „klinische“ Psychotherapie verbindet man oft mit (schweren) psychischen Erkrankungen, deren Behandlung oft mit Therapie und einer medikamentösen Verabreichung einhergeht. Welche Methoden kommen in der „buddhistisch orientierten“ Behandlung zur Anwendung?

Die Methoden sind vielseitig: Gespräche, Massagen, Atemarbeit und Meditation kommen oft zum Einsatz. Ich arbeite auf der Basis des psychologischen Heilpraktikerscheins und verschreibe keinerlei Medikamente. Natürlich rate ich Klienten auch nicht davon ab, ihre Medikamente zu nehmen, wenn Sie diese verschrieben bekommen haben.
Zen-Psychotherapie in einem ambulanten Setting, wie bei mir, mit im Regelfall wöchentlichen Terminen, ist vor allem bei dem klassischen Spektrum der Neurosen indiziert, also bei Ängsten, Zwangsstörungen, Depressionen, sich wiederholenden, negativen Verhaltensmustern, Selbstwertstörungen, psychosomatischen Themen usw.
Aber man muss nicht krank sein, um Therapie zu machen. Von dieser Idee sollten wir uns langsam wirklich lösen. Zen-Psychotherapie ist grundsätzlich professionelle Lebenshilfe. Wo finden Sie denn in einer Krise einen wirklich neutralen, aber tief empathischen, unendlich geduldigen, lebenserfahrenen und psychologisch versierten Freund, der auf keinen Fall ein Sterbenswörtchen über ihre intimen Gefühle und Gedanken ausplaudert und jede Woche für Sie Zeit hat? Ob die Symptome unseres Leidens nun so drastisch sind, dass man Sie als Krankheit definiert oder ob es doch „nur“ die Scheidung oder das Mobbing ist, die uns zu schaffen machen. Leid ist Leid und der Buddhismus definiert sich als die Philosophie, die die Ursachen des Leidens erforscht und einen Weg zur Beendigung desselben aufzeigt. ZPT ist insofern praktisch angewandter Buddhismus.

Im immer stressiger werdenden Berufs- und Alltagsleben fühlen sich viele Menschen zunehmend ausgebrannt, erschöpft, depressiv. Kann da die Zen-Psychotherapie ansetzen? Werden auch medikamentöse Behandlungen angewendet?

Zur Frage nach dem Stress & Burnout: Ja, unbedingt. Ich erlebe Meditation als eine unerschöpfliche Kraftquelle, gerade in schwierigen Zeiten. Genauso wie gute und tiefgehende Gespräche, die mir vielleicht aufzeigen, wie ich mich selbst unter Druck setze, die mir Mut machen oder die mir helfen, mal ganz anders über eine Lebenssituation zu denken. Zu guter Letzt die Besinnung auf den Körper, auf die Atmung, Massage und Auflösung von tiefsitzenden Spannungen. Das hilft, sich wieder freier zu fühlen und aus dem Alptraumgefühl heraus zu kommen.
Natürlich soll und kann Therapie nicht einfach nur wieder fit für den Irrsinn des Alltags machen, sondern muss auch helfen langfristige Strategien zu entwickeln, um ein besseres Leben zu gestalten. Dabei ist es wichtig, seine Prioritäten zu überdenken und den Ehrgeiz runter zu schrauben. Zu viel Druck entsteht einerseits natürlich oft aus der äußeren, ökonomischen Situation, daran kann Therapie wenig ändern, aber andererseits eben auch von innen, weil wir falsche Ziele haben oder uns sagen, wenn wir dies oder jenes nicht erreichen, sind wir nichts wert. ZPT ist wie ein Spiegel, in dem wir unser Inneres besser sehen können und dadurch können wir lernen, damit aufzuhören, uns selbst in den Wahnsinn zu treiben.

Ich glaube nicht, dass Medikamente uns bei Stress helfen können. Ich finde die Idee widerlich, allgemeine Lebensprobleme durch irgendeine happy Chemiepille übertünchen zu wollen. Das ist mir zu amerikanisch. Kamillentee, Ginseng, manche Vitamine und Mineralien, Baldrian, Wärmflaschen und Schokolade oder das abendliche Entspannungsbier sind vielleicht in Grenzen nützlich, aber was darüber hinaus geht ist schlicht Flucht vor den stresserzeugenden Problemen. Mit ZPT hat es jedenfalls nichts zu tun.

Buddhastatue
Die ZPT nützt das praktische Wissen des Buddhismus und nutzes es, um Leiden zu lindern.

Laut Buddha ist das eigene Ich bzw. die Identifikation damit die Ursache des Leides. Dieses gilt es zu überwinden, oder sich davon zu distanzieren. Wie ist das möglich?

Die Aussage ist zwar richtig, was den Buddhismus als religiösen Weg angeht, aber um eines klar zu stellen: Zen-Psychotherapie basiert auf der buddhistischen Lehre, ist aber nicht damit gleichzusetzen. Wer Therapie sucht, tut dies meistens aus dem Grund, weil es ihm oder ihr nicht so gut geht. Man geht nicht in die Therapie mit dem Wunsch, sein Ich zu transzendieren, sondern man möchte im Regelfall eigentlich erst einmal ein gesünderes und glücklicheres Ich erleben. Die Frage ist aber natürlich, wie man das erreicht.
Meiner Beobachtung nach basiert andauerndes psychologisches Leiden immer auf einer Art Fixierung auf bestimmte Sichtweisen, Gefühle und Überzeugungen. Diese bewusst zu machen, loszulassen und zu verändern ist Heilung. Die Identifikation mit den leiderzeugenden Mustern aufzugeben ist aber immer auch ein Stück Hingabe des bekannten Ichs, denn diese Muster definieren uns auch und fühlen sich darum trotz der Schmerzen, die sie verursachen, auch wohlig vertraut an. Am meisten Ich fühlt sich das Ich, wenn es sich als leidendes und einsames Opfer der Welt erlebt.
In der ZPT gibt es also nicht den Anspruch an den Menschen, eine völlige spirituelle Transformation seines Wesens durchzuführen − das ist ein viel zu hohes Ziel − aber man arbeitet an einem punktuellem Loslassen der Identifikation mit dem Ich, genau da, wo es gerade weh tut.
Manchen Klienten inspiriert das auch, langfristig einen wirklich umfassenden spirituellen Weg zu gehen. ZPT ist aber nur ein Angebot zur Problemlösung, genau da, wo man steht und wie man ist.

Sie fragen, wie es möglich ist, sein Ich loszulassen. Das ist eine sehr große Frage, auf die ich Ihnen nur eine sehr kleine Antwort geben kann: Lernen Sie wahrzunehmen, wie Sie mit ihrem Denken ständig ihr Ich erzeugen und dann lassen Sie sich auf das Nichtdenken ein und schauen was passiert. Wenn Sie mit Ihren Sinnen, Ihrer Körperwahrnehmung, Ihrer emotionalen Motivation und Ihrer Konzentration ganz in der Gegenwart sind, verschwindet das ständige Ichgeplapper und Sie erleben einen authentischen Moment des (ich)leeren Daseins. Dann müssen Sie es nur noch schaffen, diesem Zustand immer öfter Raum zu geben. Man braucht nicht mehr als ein ganzes Leben dazu.

Für wen/wann eignet sich die Zen-Psychotherapie und wann stößt sie an ihre Grenzen?

Für jeden Menschen der willens und in der Lage ist Selbstverantwortung zu übernehmen.
Wie schon oben gesagt sind Lebenskrisen, Sinnkrisen und alle neurotischen Problemlagen sowie viele psychosomatischen Syndrome geeignet, um mit ZPT zu arbeiten.
An ihre Grenzen stößt sie bei akuten Psychosen, Wahnvorstellungen, gehirnorganischen Erkrankungen und generell allen Störungen, die man nicht im ambulanten Setting behandeln kann. Mit anderen Worten: Man sollte soweit klar sein, dass man sich selbst reflektieren kann und fähig sein, regelmäßig zur Therapie zu kommen und zwischen der Therapie Meditation zu üben. Vielleicht wäre ZPT in angepasster Form auch in einem klinischen Setting verwendbar, aber dazu habe ich keine Erfahrung.
Zen-Psychotherapie erfindet das Rad der Therapie nicht völlig neu, aber durch den Zen-Hintergrund wird die Therapie im Idealfall zu einer einzigartigen Begegnung zweier Menschen in tiefer Authentizität, die jegliche Patient/Klient-Therapeut-Rollen überschreitet und das Herz öffnet. Wenn Sie die Nase voll davon haben, Objekt (psycho-)technischer Experten zu sein, dann lassen Sie sich auf ZPT ein.

Vielen Dank für das Interview und die tollen Bilder!

Bilder: © Martin von Elm

 

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